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Kassem Taher Saleh

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Wir gedenken Oury Jalloh

Wir dürfen Oury Jalloh niemals vergessen. Sein Tod ist uns Mahnung, für eine Gesellschaft zu kämpfen, die Rassismus in keiner Form akzeptiert.

20 Jahre sind vergangen, eine Generationenspanne. Zeit, die Oury Jalloh mit seinen Freunden hätte verbringen können – älter werden, Erinnerungen schaffen, die sie verbinden. Zeit, in der er mit seiner Tochter ihre ersten Schritte, Geburtstage und Erfolge hätte erleben können. Doch am 7. Januar 2005 wurden diese Träume jäh zerstört. Oury Jalloh wurde aus dem Leben gerissen – und mit ihm all die Erinnerungen, die hätten entstehen können.

Oury Jalloh wurde in Sierra Leone geboren und floh vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland, getragen von der Hoffnung auf ein besseres Leben. Er suchte das, wofür unser Land beneidet wird: Freiheit, Sicherheit und die Zuversicht, dass es den eigenen Kindern einmal besser geht. Doch all das blieb ihm verwehrt. Sein Tod hinterließ eine trauernde Familie und erschütterte das Vertrauen vieler Menschen in unseren Rechtsstaat. Heute erinnern wir an ihn – nicht nur als Opfer einer schrecklichen Nacht, sondern als Mensch, der lachte, liebte und träumte. Dieses Gedenken ist nicht nur ein Akt der Solidarität, sondern eine Mahnung an uns alle.

Als Oury Jalloh starb, war ich elf Jahre alt. Meine Familie hatte gerade in einer alten russischen Kaserne in Plauen Zuflucht gefunden, nur 170 Kilometer von Dessau entfernt. Damals wusste ich nicht, was Rassismus wirklich bedeutet. Natürlich spürte ich Vorurteile und Ablehnung in meinem Alltag, aber es dauerte, bis ich diese Erfahrungen einordnen konnte. Die Auseinandersetzung mit dem Schicksal von Oury Jalloh hat mir gezeigt, dass Rassismus nicht nur ein persönliches Problem ist. Er ist ein strukturelles Problem, das Menschen nicht nur verletzt, sondern ihnen auch das Leben nehmen kann. Genau das ist es, was Oury Jalloh widerfuhr.

Seine rechtswidrige Fixierung, die Weigerung, ihn zu entlassen, obwohl seine Personalien längst geklärt waren, und schließlich ein Tonband, auf dem ein Polizeibeamter sagte: „Piekste mal einen Schwarzafrikaner“ – all das zeigt, was in jener Nacht schieflief. Der Sonderberater Jerzy Montag stellte fest: „Wenn sich die Polizei korrekt verhalten hätte, wäre dieser Mann noch am Leben.“ Diese bittere Wahrheit dürfen wir nicht verdrängen.

Doch Anteilnahme allein reicht nicht. Opfer extremistischer Gewalt und ihre Angehörigen brauchen mehr als unsere Solidarität. Sie brauchen Schutz, seelischen Beistand, finanzielle Unterstützung und vor allem Gehör. Ihre Stimmen gehören in unsere Mitte. Das gilt heute in Magdeburg genauso wie damals in Dessau – und für die Familie von Oury Jalloh, die ihr Leben lang mit diesem Schmerz leben muss. Es liegt an uns, ihnen zur Seite zu stehen und für eine Gesellschaft zu kämpfen, die Rassismus in keiner Form akzeptiert.

Wir brauchen dazu auch eine konsequente Politik. Ein Demokratiefördergesetz hat genau diesen Zweck: eine wehrhafte Gesellschaft aufzubauen, die Menschen vor extremistischer Gewalt schützt. Ebenso wichtig ist die Prüfung eines AfD-Verbots, um unseren Rechtsstaat vor denen zu bewahren, die ihn systematisch aushöhlen wollen. Es geht darum, sicherzustellen, dass alle Menschen in diesem Land vor Hetze, Gewalt und Diskriminierung geschützt sind.

Unsere Gedenktage beantworten die Frage, welche Gesellschaft wir sein möchten. Der 7. Januar steht für den Kampf gegen Rassismus und für die Schwächsten - auch die, die keinen deutschen Pass haben. Er steht für den Einsatz gegen Hetze und Polarisierung. Und leider erinnert er uns daran, dass viele Menschen nicht das Gefühl haben, solche Ereignisse seien heute unvorstellbar. Genau deshalb müssen wir weiterhin konsequent gegen Rassismus eintreten, wo und in welcher Form auch immer wir ihm begegnen.

Weitere Infos

Initiative in Gedenken an Oury Jalloh